Die Reihe beleuchtet anhand visuell extrem beeindruckender Ruinen die großen Themen des 20. und 21. Jahrhunderts, die unsere heutige Gesellschaft prägen: der Kampf der Gesellschaftssysteme (Piramida), Globalisierung (Fordlândia), Kolonialismus (Kolmannskuppe), Umgang mit Ressourcen und Energie (Zeche Lohberg) und Mobilität (Detroit).
Die Reihe MODERNE RUINEN erzählt von der Dynamik der Moderne, die vom immer währenden Fortschritt geprägt ist und auf ihrem Weg vieles hinter sich lässt.
Der Fachbegriff ist hierfür „Creative Destruction“ oder zu deutsch „Schöpferische Zerstörung“ und wird in den Wirtschaftswissenschaften verwendet. Er bezeichnet die Kehrseite des Fortschritts und der Globalisierung. Jede ökonomische Entwicklung baut auf dem Prozess der schöpferischen bzw. kreativen Zerstörung auf. Durch erfolgreiche Produktionsfaktoren und Innovationen werden alte Strukturen verdrängt und schließlich zerstört. Die Zerstörung ist also notwendig und nicht etwa ein Systemfehler, damit Neuordnung stattfinden kann.
Der prominente US-Wirtschaftsweise Alan Greenspan hat darauf hingewiesen, dass eine stetige Steigerung der Lebensqualität in den USA durch Globalisierung und Fortschritt mit einer „Creative Destruction“ von Arbeitswelten in der westlichen Welt zusammenhängt.
So werden auch zu Boom-Zeiten in den USA jede Woche eine Million Menschen arbeitslos und müssen sich einen neuen Job suchen.
MODERNE RUINEN ist eine Archäologie von Zukunftsorten des 20. Jahrhunderts. Im Gestern wurzelnd betrachten die einzelnen Folgen Zeugnisse des Fortschritts und vermitteln im Blick nach vorne ein Verständnis über unsere heutige Lebenskultur.
Detroit wurde Anfang des 20. Jahrhunderts zum Zentrum der amerikanischen Automobilproduktion. Die „Großen Drei“ – Chrysler, Ford, General Motors – schufen die Autostadt schlechthin, das Wirtschaftswachstum zog Millionen von Menschen an, die sich in Detroit das kleinbürgerliche Ideal des amerikanischen Traumes erfüllten. Detroit war modern, urban und schnell. Hier gab das erste Fließband, die erste Straße mit Betonbelag, die erste Stadtautobahn (den „Davison Freeway“). Warenhäuser und Kinopaläste säumten die Straßen.
Später wurde die Boomtown mit dem ersten Shopping Center zum Vorreiter der Stadtrand-Wanderung – ein Städtebaumodell, das sich später in den USA und der westlichen Welt durchsetzte. Als Folge der Ölkrise von 1973 sowie aufgrund zunehmender ausländischer Konkurrenz in der Automobilindustrie schlossen die „Großen Drei“ ihre alten Werke zugunsten neuerer Anlagen, die oft in Billiglohnländern errichtet wurden und läuteten damit den Niedergang der Metropole ein.
Heute liegt ein Drittel der gesamten Stadtfläche brach, zahllose Gebäude wurden abgerissen. Insgesamt stehen über 4.000 Bauten leer: verlassen, verschlossen, verbrettert, vermauert. In manchen Straßen gleicht Detroit einer Geisterstadt. Straßenschilder rosten. Auf Bürgersteigen wächst Gras. Wilde Hunde streunen. Wer Detroit besucht, muss sich auf dystopische Szenerien gefasst machen. Viele Wohnhäuser sind stellenweise komplett mit Efeu bewachsen, Bäume und Sträucher wachsen aus den Dächern und Fenstern. Die Wirtschafts- und Immobilienkrise ab 2008 verschärft die Lage.
Mama Pay Check, eine gebürtige Polin, betreibt eine Bar, in der der Schriftsteller Steve Hughes gerne ein Bier trinkt, aber auch Geschichten findet und aufschreibt. Es sind Geschichten der arbeitslosen kleinen Leute, die versuchen über die Runden zu kommen. 80% der Bevölkerung Detroits sind Schwarze. In den 40er und 50er Jahren kamen sie nach Detroit, weil hier die Rassendiskriminierung weniger ausgeprägt war als im Rest der USA. Familie Armour ist da keine Ausnahme. Der Großvater hat 40 Jahre lang bei General Motors gearbeitet. Die Großmutter hat die Familie zusammengehalten. Menschen wie sie haben die goldene Ära Detroits erlebt und mitgeprägt und sie tragen die Musik von Motown in sich. Ihre Kinder haben die großen Entlassungswellen erlebt, sie waren davon stärker betroffen, als die Weißen. Auch die Crackwelle der 80er Jahre hat die meisten schwarzen Familien aus der Bahn geworfen. Die Enkel sind die menschlichen Ruinen, die genauso zurückgelassen wurden wie die Gebäude. Davon Armour ist 23 und hat als Jugendlicher im Bandenkampf einen Menschen erschossen.
Der afro-amerikanische Künstler Olayami Dabls beschäftigt sich in seinen monumentalen Skulpturen mit seinen afrikanischen Wurzeln. Er hofft, daß jeder seinen Platz im Detroit der Zukunft finden kann. Der mittlerweile zu beachtlicher Berühmtheit gelangte Konzeptkünstler Scott Hocking errichtet in den verlassenen Fabriken spektakuläre Skulpturen. Die Entstehung einer seiner Arbeiten begleitet der Film: ein großes Ei aus schweren Marmorplatten entsteht im verlassenen Hauptbahnhof. Scott Hocking sieht in den Ruinen nicht vordergründig den Verfall, sondern die Schönheit. Es macht keinen Unterschied, ob ein Kunstwerk 4000 Jahre alt ist oder fünf – Hauptsache die Ruine zieht die Menschen in ihren Bann.
Von der Faszination der Ruinen für die Detroiter und der Aufbruchsstimmung der Bewohner in einer dem Verfall preisgegebenen Stadt erzählt dieser Film.
Verfasserangabe:
Musik: Tim Stanzel, Moritz Denis, Eike Hosenfeld; Regie: Alice Agneskirchner; Drehbuch: Alice Agneskirchner; Montage: Julia Wiedwald; Kamera: Sven Kiesche; Produktion: Christian Beetz
Jahr:
2024
Verlag:
Potsdam, filmwerte GmbH
Aufsätze:
Zu diesem Aufsatz wechseln
Suche nach dieser Systematik
Suche nach diesem Interessenskreis
Beschreibung:
1 Online-Ressource (52 min), Bild: 16:9 HD
Schlagwörter:
Film
Mehr...
Sprache:
Deutsch
Mediengruppe:
Filmfriend